1. Aufmarsch der Bergparade in Freiberg

Wohl kaum ein Ereignis ist in den letzten Jahrzehnten in Freiberg mit so viel Spannung erwartet worden wie die Prämiere der neuen Historischen Freiberger Berg- und Hüttenknappschaft am 4. Juli 1986 – und wohl keine wurde so überwältigend gefeiert.

Abends 20 Uhr sollte die Knappschaft auf dem Obermarkt eintreffen, doch schon mehr als eine Stunde vorher hätte auf dem historischen Freiberger Marktplatz kaum noch eine Maus Platz gefunden. Tausende Schaulustige, Fotografen und Kamerateams drängten sich um die besten Plätze. Ein dichtes Spalier stand auch zu beiden Seiten der Marschroute vom Schachtweg bis zum Stadtzentrum.

In der Berufsschule am Schachtweg bereiteten sich unterdessen schon seit den Morgenstunden die Angehörigen der Knappschaft auf ihren ersten Auftritt vor – und wurden zusehends nervöser. Einiges Zubehör war erst in letzter Minute fertig geworden. Die Fackeln kamen sogar erst an diesem Morgen, Uniformteile mußten auseinander sortiert und anprobiert werden. Dann war auch noch plötzlich die Rede weg für die Zeremonie auf dem Obermarkt. Kurzum, Lampenfieber und Hektik bei allen Beteiligten. Von dem Gedränge in der Stadt bekamen die Männer am Schachtweg nichts mit. Und mancher fing – ungeduldig geworden – schon an zu fluchen und zu bangen, ob sich überhaupt ein paar Zuschauer einfinden würden.

Das Vorkommando, das unter Polizeischutz die bereits gesperrten Straßen entlang fuhr, um die irregelaufene Rede wieder heranzuholen, bekam schon einen ersten, überwältigenden Eindruck von dem, was sich mittlerweile in der Stadt getan hatte. Als sich die Parade dann gegen 20 Uhr geschlossen in Marsch setzte, trauten die Männer ihren Augen nicht: Menschen über Menschen entlang des ganzen Marschweges, immer wieder spontan zu Beifallsstürmen und Hochrufen hingerissen. Das übertraf alle Erwartungen. Auch wenn es rührselig klingt, es war wirklich so an diesem unvergeßlichen Abend: Manchen hartgesottenen Berg- oder Hüttenmann, der da mitmarschierte, trieb dieser grandiose und herzliche Empfang durch die Freiberger die Tränen in die Augen. Viele der Knappschaftsangehörigen hatten bis zur Einstellung des Bergbaus im Freiberger Revier 1969 noch selbst unter Tage gearbeitet, andere waren als Hüttenwerker im Kombinat tätig. Für sie war die Parade nie Mummenschanz gewesen, wie einige Kritiker lästerten, sondern ein Stück Tradition und eigener Lebensgeschichte. Und die überwältigende Resonanz bei den Zuschauern zeigte, dass die meisten Freiberger ähnlich dachten und fühlten. Sie hatten ihre Parade sofort ins Herz geschlossen.

Der Rückmarsch – nun bei hereinbrechender Dämmerung, mit Fackeln und angezündeten Froschlampen – setzte diesem unvergesslichen Tag den Höhepunkt auf.

Gut hunderttausend Zuschauer erlebten nach vorsichtigen Schätzungen die Prämiere der neuen Historischen Freiberger Berg- und Hüttenknappschaft.

Bei späteren Auftritten wurde diese Zahl natürlich nicht wieder erreicht. Dennoch: Wann immer die Knappschaft in Freiberg aufmarschierte – die Straßen entlang des Marschweges und der Obermarkt sind immer dicht gefüllt und Beifall und Hochrufe gibt es nach wie vor reichlich. Wer viel sehen will, tut auch heute noch gut daran, sich rechtzeitig einen günstigen Platz zu sichern.

 

von Karl-Heinz Ebert

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